Der Fluch der Selbstjustiz

Nach wahrer Begebenheit
Dass Selbstjustiz nur Ärger bringt, zeigt auf humorvolle Art die Geschichte von Dr. Ronald Kunst, Richter und Autor.

Ein Wiener Fahrzeuglenker fuhr mit seinem Porsche Cayenne auf einer engen und kurvenreichen Straße im südlichen Burgenland hinter einem Nissan Sunny älteren Baujahrs nach. Ein Überholen war nicht möglich, weil dieses Fahrzeug ständig in der Mitte der Fahrbahn und zum Teil in Schlangenlinien fuhr. Außerdem beschleunigte der nach Einschätzung des Porsche-Fahrers betrunkene Fahrzeuglenker immer wieder seine Gschwindigkeit, um dann plötzlich abzubremsen. Schließlich reichte es ihm. Er überholte das Fahrzeug rasant, bremste ab und blockierte in Schrägstellung die Fahrbahn. Zornig sprang er aus seinem Fahrzeug heraus und riss die Fahrertür des zum Stillstand genötigten Nissan auf, wo ihn völlig verängstigt eine sehr betagte Lenkerin anstarrte. „Bist deppert, so a Grufti wia du, gehört auf den Friedhof und hat auf der Straßen nix mehr verloren!“, brüllte sie der Porsche-Fahrer an. „Was wollen Sie grober Lackel von mir. Ich bin mir keiner Schuld bewusst“, erwiderte die Seniorin. „Red‘ kan Bledsinn, so wia du kann nur a B‘soffene fahren. Steig aus, setz‘ di am Beifahrersitz und wir fahren zur Polizei.“ Gesagt, getan. Auf der Polizeiinspektion berichtete der nach wie vor aufgebrachte Porsche-Fahrer den Beamten über die Fahrweise der alten Dame und verlangte, sie einem Alkotest zu unterziehen. Dieser ergab – ebenso wie der auch gleich von ihm eingeforderte – jeweils einen Blutalkoholwert von 0,00 Promille.

Auf Grund der Anzeige der Seniorin wurde gegen den „verhinderten Polizisten“ Strafantrag erhoben, und zwar wegen der Delikte der Nötigung, weil er das andere Fahrzeug zum jähen Abbremsen veranlasst hatte, und wegen fahrlässiger leichter Körperverletzung, weil er der Fahrzeuglenkerin, als er sie auf den Beifahrersitz drängte, eine blutende Verletzung am linken Ohrläppchen zugefügt hatte. Auch das flammende Plädoyer des Wiener Verteidigers des Porschefahrers, dass seinem Mandanten ja eigentlich nichts vorzuwerfen sei, „weil man im Burgenland regelmäßig mit alkoholisierten Fahrzeuglenkern rechnen müsse und die Aktion des Beschuldigten ja nur dazu gedient habe, andere Fahrzeuglenker vor dieser Harakiri-Lenkerin zu schützen“, nützte nichts. Der Beschuldigte wurde zu einer relativ hohen Geldstrafe verurteilt, wobei sich die Richterin bei der Urteilsverkündung die schnippische Bemerkung nicht verkneifen konnte: „Auch im Burgenland ist nicht jeder Fahrzeuglenker alkoholisiert und Selbstjustiz ist auch in diesem Bundesland verboten.“

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Quelle: BVZ Woche 09/2020